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Eliane Steingruber in ihrer Café/Bar ELA. FOTO NADIA KOHLER

Die hoffnungslose Optimistin

Was macht man, wenn man ein leeres Bankkonto hat? Man eröffnet ein Café, eine Bar oder beides zusammen. Zumindest im Falle von Eliane Steingruber lief es exakt so. Die gebürtige Appenzellerin hat sich vor knapp anderthalb Jahren mit ELA Coffee & Cocktails in Chur selbständig gemacht. Bereits nach kurzer Zeit darf sie auf interessante, seltsame und bleibende Erinnerungen zurückblicken. Seit der Eröffnung im Sommer 2019 musste sie sich nicht nur Existenzfragen aufgrund der Corona-Pandemie stellen oder kreative Lösungen für ungemütliche Baustellen vor der Lokalität suchen, sondern bewirtete zwischenzeitlich auch einen Bankräuber.

Der Bankräuber, der im Februar 2020 die Schalterhalle der Graubündner Kantonalbank stürmte, mehrere Zehntausend Franken in Bar erbeutete und sich schliesslich ein Bier im ELA genehmigte, hat die Café/Bar zwar in die Schlagzeilen gebracht, aber ist nicht für deren Erfolg verantwortlich. Eliane, die unter anderem einen Master in Digital Marketing ihr Eigen nennen darf, hat jahrelange Gastro-Erfahrung. Anstatt von Anfang an auf fixe Arbeitszeiten zu setzen, erprobte sie beinahe ein Dreivierteljahr die perfekten Öffnungszeiten. Mittlerweile gehen die Türen meist um 11 Uhr morgens auf und schliessen je nach Belegung zwischen 22 und 24 Uhr.

Ich selbst sitze an einem Donnerstagmorgen, an welchem der Herbst langsam spürbar ist, auf einer Bank im Lokal, trinke einen Kaffee und erlebe eine aufgestellte und bereits sehr aktive Geschäftsführerin. Zwar sitzt auch sie mir mit einer Tasse Kaffee gegenüber, aber ist dennoch jederzeit bereit, einem Lieferanten die Türe zu öffnen oder einem Gast durch die noch verschlossene Türe zuzuwinken. Die vergangenen Monate sind an der jungen Frau jedoch nicht spurlos vorbeigegangen, wie sie mir erzählt. «Als der Lockdown startete und ich die Türen meines Lokals schliessen musste, wusste ich nicht, ob ich sie je wieder öffnen würde.»

Eliane, die sich selbst als hoffnungslose Optimistin bezeichnet, liess sich selbst aber nicht hängen und suchte sich nur kurz nach der vorübergehenden Schliessung eine «neue» Arbeit. Als Stundenlöhnerin verdiente sie bei zwei Detailhändlern in Chur ihr Geld. «Nein, ich bin mir für nichts zu schade», erklärt die Geschäftsfrau selbstbewusst. Sie ist der klaren Meinung, dass man immer irgendwie zu Geld kommt und dafür teils auch kreativ werden muss. Sie gibt gleichzeitig auch zu, dass sie froh war, als Mitte Mai die Bewirtung von Gästen wieder möglich wurde. «Wer zwei Wochen nach dem Lockdown Bankrott war, der hat etwas falsch gemacht, aber ich wusste, dass im Mai bei mir wieder etwas gehen musste, ansonsten hätte auch ich schliessen müssen.» Nach nicht einmal einem Jahr im Geschäft waren die Reserven deshalb nach dem plötzlichen Lockdown nicht so gross. Und doch hat es gereicht, nicht zuletzt dank der bereits vorhandenen Stammgäste, welche nach der unfreiwilligen Schliessung das Geschäft wieder in Schwung gebracht haben.

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Der Blick ins Lokal zeigt: Hier wurde Wert aufs Detail gelegt. FOTO NADIA KOHLER

«Glücklicherweise stand auch der Sommer vor der Türe und die Churerinnen und Churer konnten und wollten wieder raus», so Eliane erleichtert. Auch die vorübergehende Sperrstunde um 24 Uhr für alle Gastrobetriebe schweizweit spülten ihr zusätzliche Gäste ins Lokal. «Für gewöhnlich ziehen die Gäste der Altstadt ab 22 Uhr eher Richtung Welschdörfli, da die Öffnungszeiten dort länger sind. Während der allgemeinen Sperrstunde haben sie weniger gewechselt oder haben den Weg ins Welschdörfli gar nicht erst auf sich genommen.»

Dennoch verflucht sie das Polizeigesetz, welches ihr die Öffnungszeit bis Mitternacht limitiert, nicht. Ihre besten Zeiten habe sie so oder so zwischen 16 und 22 Uhr und könne nach getaner Arbeit ab und an auch selbst ein Glas Wein in einer anderen Bar geniessen.

Weshalb aber nimmt man eine solch grosse Herausforderung an? Wieso nicht einfach eine sichere Anstellung in einer Marketing-Agentur? «Ich würde mit deutlich weniger Arbeit deutlich mehr verdienen», gibt Eliane lachend zu. Sie mache zwar ab und an immer noch etwas im Marketing, aber die Gastronomie sei ihr zu Hause. «Ich habe ein Jahr lang ausserhalb der Branche gearbeitet und wurde todunglücklich.» Auch wenn sie ziemlich sicher nicht für immer in Chur bleiben werde, wollte sie nach dem gescheiterten Ausflug in eine andere Branche nicht gleich wieder weg. Da passte das freiwerdende Lokal in der Reichsgasse perfekt. Eliane fehlte bis dahin eine Lokalität, die sich an ein weibliches Publikum richtete. «Hat man die Frauen, dann hat man automatisch auch die Männer. Frauen machen Mund-zu-Mund-Propaganda.» Nicht nur das Interieur ist durchdacht, auch das Angebot an Speisen kommt nicht von ungefähr. Um die Zeit zwischen Apéro und Ausgang zu überbrücken, bietet Eliane ihren Kunden eine kleine, aber feine Karte für den kleinen Hunger an. Damit sorgt sie dafür, dass ihre Gäste nicht wegen eines knurrenden Magens aufbrechen.

Unfreiwillig aufgebrochen ist hingegen der berühmte Gast letzten Februar. Der Bankräuber, der die GKB um einige Tausend Franken bringen wollte, bestellte nach seinem Überfall morgens um 9 Uhr ein kühles Bier bei Eliane. «Er wirkte schon etwas ‘kurlig’, aber ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Schliesslich gibt es viele Menschen, die in der Nacht arbeiten und dann morgens Feierabend haben.» Sie staunte jedoch nicht schlecht, als rund dreissig bewaffnete Polizisten vor ihrem Lokal auftauchten. Der Bankräuber habe sofort erklärt, dass er nichts machen werde und sie habe gewusst, dass die Polizei bei ihr richtig war. Den Medienrummel kann sie sich bis heute nicht erklären. Schweizweit wurde über den Fall berichtet. Und Eliane? Sie machte aus dem Vorfall eine clevere Marketing-Aktion und stellte ein Schild mit dem Hinweis «Man muss keine Bank überfallen, um hier ein Bier zu kriegen!» vor ihre Türe. Das Bier, welches der Bankräuber natürlich aus gegebenem Anlass nicht mehr bezahlen konnte, wurde ihr mehrfach beglichen. Von der Stadtpolizei bis zum Stadtrat wurden die Unkosten getilgt. Von der GKB gab es zudem Blumen.

Trotz der turbulenten Zeit würde Eliane es nochmals machen und teilt ihr Wissen gerne: «Viele Menschen glauben auch heute noch, dass man einen männlichen Geschäftspartner braucht, um etwas aufziehen. Das ist einfach nur falsch. Wenn man Hilfe braucht, dann bekommt man die», betont die Unternehmerin. Ja, ab und an müsse man unzählige Telefonate tätigen, aber man bekomme immer eine Antwort. «Es ist aber eine Holschuld!»

Wie ihre Zukunft aussieht, weiss sie noch nicht, aber sie wünscht sich vermehrt eine «Pleite-Kultur» in der Schweiz, damit noch mehr Menschen den Schritt in die Selbständigkeit oder für neue Projekte wagen. Und Eliane ist der lebende Beweis, dass man kein pralles Bankkonto braucht, um durchzustarten, sondern Mut und Biss.

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